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Krankenpflege im Kaiserreich: Das Knappschaftskrankenhaus Gelsenkirchen-Ückendorf, 1905 eröffnet, war das erste Krankenhaus im Besitz des Bochumer Allgemeinen Knappschaftsvereins.
Foto um 1910.
Bearbeiter
Christoph Wehner
Förderinstitution
Forschungsnetzwerk Alterssicherung (FNA)
Laufzeit
01.12.2019 – 30.11.2020
Das Projekt fokussiert auf den Vertrauensärztlichen Dienst der gesetzlichen Rentenversicherung (VÄD) als einem zentralen Instrument der Krankenkontrolle im „Dritten Reich“. In der Reichsversicherungsordnung von 1884 noch nicht vorgesehen, war der Vertrauensärztliche Dienst in der Weimarer Republik bei einer großen Zahl von Krankenkassen etabliert und ausgebaut worden mit dem Ziel, die ungerechtfertigte Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen zu unterbinden. Die gesetzliche Einführung des VÄD erfolgte 1930 als Reaktion auf steigende Krankheitsausgaben und die insgesamt bedrohliche finanzielle Schieflage der Sozialversicherung in der krisenhaften Spätphase der Weimarer Republik.
In den Jahren 1935/36 wurde der Vertrauensärztliche Dienst grundlegend reorganisiert und seine Steuerung den Landesversicherungsanstalten (LVAen) übertragen. Unter den Bedingungen nationalsozialistischer Herrschaft durchlief der VÄD einen beschleunigten Expansionsprozess, der seine Organisation, Ressourcen, Aufgabenfelder, Kompetenzen sowie Praktiken betraf. Das einstige „Machtinstrument der Krankenkassen“ entwickelte sich zu einer zentralen Kontrollinstitution nationalsozialistischer Arbeitseinsatzpolitik, deren Hauptaufgabe in der Senkung von Krankenständen in kriegswichtigen Betrieben bestand. Die Sicherung von Arbeitskraftressourcen für die Rüstungswirtschaft erlangte in der Kriegszeit staatspolitische Relevanz und wurde von den „Gesundschreibern“ des VÄD mit zum Teil brutalsten Methoden durchgesetzt. Grundlegend ermöglicht wurde der Terror des Arbeitszwanges gegenüber Kranken durch eine Gesundheitspolitik, die auf rassistischen, eugenischen sowie produktionsbezogenen Nützlichkeitserwägungen beruhte und den individuellen Wert von Gesundheit an sich in Abrede stellte.
Der Vertrauensärztliche Dienst der gesetzlichen Rentenversicherung stand insofern im Handlungszentrum eines Komplexes nationalsozialistischen Unrechts, der bislang nur unzureichend erforscht ist. Im Ergebnis leistet die Studie einen Beitrag zur Diktaturgeschichte der gesetzlichen Rentenversicherung, zur Medizin- und Verwaltungsgeschichte des „Dritten Reiches“ sowie zur Praxis der Gesundheitsversorgung im Zweiten Weltkrieg.